ACHTUNG! DIESE GESCHICHTE IST FÜR LESER OHNE 200 BÜCHER IM REGAL NICHT GEEIGNET UND KANN ZU AKUTEN ERSCHÖPFUNGSERSCHEINUNGEN UND TÖDLICHER LANGEWEILE FÜHREN. (ich habe es mal hier reingepackt, da es mit den anderen Geschichten zusammenhängt. Und wie immer ging mir gegen Ende die Puste aus, aber wurd ja auch mal Zeit).
Shyari blickte sich um. Der Wind wehte sanft über das Gras, welches sie betrachtete. Dies war also Carroll Island, ihre Heimatinsel, auf der sie so lange gewohnt hatte. Sie wollte nicht mit ihren Freundinnen reden. Diese würden ihre Pläne nicht verstehen. Sie setzte sich an den Strand und dachte nach. All ihre Gefährten…und auch die anderen… „Was machst du denn hier?“ Shyari drehte sich um. „Feanna, ich hasse dich.“ Feanna betrachtete sie mit einer Mischung aus Besorgnis und Neugier. „Und warum hasst du mich?“ meinte sie dann. „Weil du immer dann auftauchst, wenn ich nachdenken muss“, sagte Shyari schlicht. „Achso.“ Feanna atmete die Meeresluft ein, bevor sie fragte: „Du wirst wegziehen, nicht wahr?“ Shyari gab zunächst keine Antwort. „Und du weißt nicht, was dir die neue Gegend bringen wird“, fuhr Feanna fort und setzte sich vor Shyaris Gesicht. „Du weißt nicht mal, ob du auf Telon bleiben wirst, nicht wahr?“ Shyari seufzte. Sie blickte Feanna an und überlegte, was sie antworten sollte. Feanna nickte. „Saria und ich ziehen auch um“, erzählte sie weiter, „alle anderen werden wohl mitkommen. Ich weiß, was du denkst…“ sie seufzte ebenfalls. „Du weißt überhaupt nicht, was ich denke“, entgegnete Shyari und stand auf. Ihr feindseliger Blick bedeutete Feanna, nichts mehr zu sagen. Feanna schaute zu Boden und schwieg. „Telon oder Telara“, sagte Shyari schließlich, „das macht keinen Unterschied, oder?“ Feanna sagte immer noch nichts. „Aber ich wusste gar nicht, dass ihr auch wegzieht“, fuhr Shyari fort. „Das ist wenigstens ein Trost.“ Feanna seufzte. „Was bleibt uns anderes übrig?“ Sie stützte das Kinn auf die Hände. „Es wird nur schwer, das Fennah zu erklären. Du weißt doch, wie sie ist.“ „Oh ja.“ Shyari dachte an Sarias sensible Halbschwester. „Vielleicht sollte lieber Saria das machen. Sie hat einen Hang zum Melodramatischen und wird sie sicher besser trösten können als wir beide.“ „Saria hat es nicht wirklich schwer aufgefasst. Im Grunde war es sogar ihre Idee. Aber für sie ist es leichter; sie hat ja jetzt Kyron.“ „Stimmt.“ Shyari verdrehte die Augen. „Meinst du, sie heiraten?“ Feanna schaute sie entsetzt an. „Bloß nicht! Sie ist so schon sentimental genug.“ Shyari dachte nach. „Nun ja…ich würde es ihr gönnen. Selbst Quiona sagte, dass es ihr vielleicht gut tun würde. Und weißt du…na ja, also…manchmal, wenn ich kämpfen muss oder durch einsame, gefährliche Gegenden laufe…also ich…wer ist dann gern allein.“ Feanna runzelte die Stirn. „Was willst du mir eigentlich damit sagen? Du bist doch nie allein.“ Shyari verdrehte ungeduldig die Augen. „Du weißt doch ganz genau, was ich meine. Saria war auch nie allein…“ Feanna lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Bitte verschone mich mit so einem Kitsch.“ „Na wenn du meinst.“ „Hallo“, ertönte eine Stimme hinter ihnen, „was macht ihr denn hier?“ Sie drehten sich um und sahen Saria auf sie zukommen. „Wir haben uns gerade über den Umzug unterhalten“, sagte Feanna. Shyari hob die Augenbrauen. „Ach, so.“ Saria setzte sich neben sie und atmete tief ein. „Es wird schwer, nicht wahr?“ Feanna zuckte mit den Schultern. „Ach, ich freue mich eigentlich darauf. Ich hoffe nur, dass wir so ein schönes Plätzchen finden, wie wir es jetzt haben.“ „Ja, das hoffe ich auch“, stimmte Shyari zu. „Und ich erst…“ Saria seufzte. Dann dachte sie eine Weile nach, ehe sie sich an Shyari wandte: „Du meinst es doch hoffentlich nicht erst mit deinen Plänen hinsichtlich Telara?“ Shyari verwünschte sich dafür, diesen Platz zum Nachdenken ausgesucht zu haben. „Ich weiß es nicht“, meinte sie. „Mutter sagt, die Tochter ihrer Freundin wohnt jetzt dort“, berichtete Saria. „Und es ist dort schwierig für jemanden, der sesshaft werden will. Der Kontinent wurde neu gegründet, wie ihr wisst und es ist schwer, an eine Baugenehmigung zu kommen, wenn überhaupt. Tatia, die Tochter, übernachtet meistens in den Hauptstädten oder in Zeltlagern. An deiner Stelle würde ich Kontakt zu ihr aufnehmen, bevor du voreilig eine Entscheidung triffst.“ „Hm“, machte Shyari. „Vielleicht hast du Recht.“ Sie stand auf. „Wie dem auch sei, ich werde jetzt einen Spaziergang machen. Vergiss nicht, mit Fennah zu reden.“ Damit ging sie davon, während Saria ihr verblüfft hinterher schaute. Dann wandte sie sich zu Feanna. „Wieso ich? Wieso immer ich?“ Feanna grinste. „Nun, wenn du es nicht tun willst, sage ich ihr, sie soll packen und sich von ihrer Heimat verabschieden, ansonsten stünde sie allein da.“ „Nun gut, ich mache es“, gab Saria sich geschlagen.
Quiona sortierte in aller Ruhe ihre Sachen. Ein anderer wäre bei dem Anblick ihrer prall gefüllten Schränke in schiere Verzweiflung ausgebrochen; sie selbst ließ keine Gefühlregung erkennen und arbeitete mit steter Konzentration. Da klopfte es an der Tür. Sie drehte sich verwundert um; sie erwartete keinen Besuch. „Herein“, sagte sie. Die Tür öffnete sich und Fennah trat ein. „Hallo, Quiona. Ich war gerade in der Gegend und wollte sehen, wie es dir geht.“ Quiona musste lächeln. Es hatte Zeiten gegeben, da sie Fennah nicht besonders mochte; dies hatte sich aber nach einer Feier – sie schien schon ewig her zu sein – geändert. „Mir geht es gut“, meinte sie, während sie eine Robe zusammenfaltete und in eine Truhe legte. Fennah schaute ihr verwundert zu. „Was tust du da?“ „Ich packe“, antwortete Quiona schlicht. „Wenn du willst, kannst du mir dabei helfen. Es ist nicht gerade wenig.“ „Du packst?“ fragte Fennah und runzelte verwirrt die Stirn. „Wozu?“ Quiona hielt inne. Dann schaute sie auf. „Du weißt nicht, wozu?“ Ein Hauch von Besorgnis umspielte ihre Augen. Nun würde sie sich auch noch mit Fennahs Rührseligkeit auseinandersetzen müssen. „Nein“, antwortete Fennah. „Verreist du?“ Als Dunkelelfe fiel es Quiona nicht leicht, auf andere zuzugehen. Sie hatte jedoch die Begabung, deren Gefühle zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Diese schien sie in diesem Moment jedoch im Stich zu lassen. Sie überlegte kurz. „Ich werde nach Telon ziehen, du weißt ja, dass man das eigentliche Telon aufgeteilt hat. Ich muss es einfach tun. Natürlich bleiben wir in Kontakt.“ Und zwar aus nächster Nähe, fügte sie in Gedanken hinzu. „Oh.“ Fennah wirkte verunsichert. „Nun…ich…“ stammelte sie, „das ist schade. Wissen die anderen schon davon?“ „Ja“, sagte Quiona und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Nach einer Weile half ihr Fennah unbewusst dabei. „Hm“, meinte sie nach einer Weile des Schweigens, „und wie ist es dort so?“ „Ich hoffe, gut.“ „Achso.“ Es entstand wieder ein längeres Schweigen; das Problem mit Quiona ist, dachte Fennah, dass sie einfach zu wortkarg ist. „Und was sagen die anderen dazu?“ hakte sie nach. „Du kannst sie ja fragen. Für mich steht die Entscheidung jedenfalls fest und ich finde es nicht schade“, sagte Quiona. Sie musterte kritisch ein paar Beinlinge und überlegte, ob sie diese nicht einfach loswerden sollte. Fennah wusste, dass Quiona keine leichtfertigen Entscheidungen traf. „Klingt aufregend“, meinte sie und beobachtete sie aus den Augenwinkeln. „Shyari ist übrigens auch ganz wild auf diese Idee“, meinte Quiona beiläufig, während sie die Beinlinge vorerst zur Seite legte. „Du kennst sie ja. Sie ist immer schnell zu begeistern.“ „Ja, das stimmt“, sagte Fennah automatisch, obwohl ihr mit einem Mal tausend Gedanken durch den Kopf schossen. „Meinst du, es wird schön dort?“ „Da bin ich mir ganz sicher.“ Wieder sagten sie eine ganze Weile lang nichts. Zu zweit geht es wirklich schneller, dachte Fennah. Und dann: Vielleicht ist es dort ja wirklich interessant. Eine Menge ihrer Freunde waren bereits aus Halgar weggezogen. „Meinst du, mir würde es dort auch gefallen?“ fragte sie schließlich. Quiona zwinkerte ihr zu – ein seltenes Ereignis. „An deiner Stelle“, sagte sie, „würde ich es ausprobieren.“ „Aber ich kann doch nicht ohne die anderen weggehen.“ „Nun, dann musst du sie eben fragen.“
Saria atmete ein paar Mal durch, ehe sie an die Haustür klopfte. Dann stand Fennah vor ihr. „Komm herein“, sagte sie seltsam abwesend und setzte sich auf ihr Bett. „Wie geht es dir?“ fragte Saria und runzelte dann die Stirn. „Du siehst nachdenklich aus.“ Und das stimmte; Fennah wirkte, als wäre sie in Gedanken an einem ganz anderen Ort. „Ja…das mag sein.“ Fennah fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Du hast auch nicht aufgeräumt“, stellte Saria verwundert fest. „Das hat auch einen Grund“, gab Fennah zu. „So? Welchen denn?“ „Nun…“ begann Fennah zögernd, „ich habe vorhin mit Quiona gesprochen…sie wird wegziehen.“ Achtung, dachte Saria und versuchte ihre Überraschung zu verbergen. Gespräche mit Quiona sind immer ein heikles Thema. Sag jetzt nichts Falsches. „Und?“ fragte sie beiläufig. „Ich überlege tatsächlich, ob ich mich nicht auch in Telon umschauen sollte“, platzte Fennah heraus und lachte nervös. „Ist das nicht verrückt?“ Nun hatte Saria mit einer wütenden Erleichterung in ihrem Inneren zu kämpfen. Ja, es ist verrückt! Wollte sie rufen. Es ist verrückt, denn in Zukunft werde ich alle ernsten Gespräche Quiona überlassen. Schließlich hat sie mir damals auch… „Was sagst du dazu?“ unterbrach Fennah ihre Gedanken. „Ich sage dazu, dass Quiona sich richtig entschieden hat“, sagte Saria und stellte überrascht fest, dass es die Wahrheit war. Sie empfand dies doch ebenso, oder nicht? Ein Gedanke, wie ein Windhauch, strich an ihrem Herzen vorbei und ließ es zusammenkrampfen. Die Arbeit. Ihre Erinnerungen. Ihre Heimat…nun, es konnte nur besser werden. Sie zwang sich zur Ruhe und atmete, wie es ihr schien, den letzten Lufthauch von Carroll Island bewusst ein. „Ihr anderen geht auch“, sagte Fennah unvermittelt. „Ich denke, du willst auch gehen“, entgegnete Saria. „Ja, das will ich.“ Es klang zuversichtlich. Was, fragte sich Saria, hat Quiona bloß mit ihr gemacht, dass sie nicht in Tränen ausbricht? Ich wüsste es so gern. „Würdest du mir beim Packen helfen?“ fragte Fennah. „Ja, natürlich.“
Stillschweigend saßen Saria, Quiona, Shyari, Feanna und Fennah in ihrem Haus nebeneinander. „Meint ihr, wir finden einen Platz?“ brach Shyari schließlich das Schweigen. „Die Kleinen waren noch nicht so oft hier, ich meine-„ „Ach, sei doch ruhig“ unterbrach Feanna sie. „Erst einmal sollten wir dafür sorgen, dass wir überhaupt nach Telon dürfen. Wir haben keine Wahl. Also bitte komm mir nicht wieder mit deinen nostalgischen Anwandlungen.“ Trotz ihrer Zweifel musste Shyari ihr Recht geben. „Na gut“, meinte sie, „dann ist es wohl an der Zeit, sich darum zu kümmern.“ Sie rechnete nicht mit den Schwierigkeiten, die ihre Freunde bald haben würden.
„Was sagst du da?“ Feanna starrte ihre Halbschwester entsetzt an. „Wie meinst du das, es könnte sehr gefährlich werden?“ Saria rollte einen ihrer Teppiche zusammen und verstaute ihn in einer geräumigen Truhe. „Nun, ich habe es dir doch schon erzählt“, meinte sie ungeduldig und setzte sich auf den letzten verbliebenen Stuhl. Sie hatte vor, alle Einrichtungsgegenstände mit nach Telon zu nehmen. „Du weißt, dass Spiele mit Zeit und Raum nie ganz gefahrlos sind. Wir gehen an einen Ort, der diesem hier nachgebildet ist. Niemand weiß, wie man dort hinkommt und ob die Reise gut geht. Es ist eine Art Teleport, habe ich gehört.“ Feanna runzelte die Stirn. „Ich dachte, wir fahren mit dem Schiff? Wie sollen wir denn teleportieren; mit deinem Teleport kommen wir nicht weit.“ Saria verdrehte die Augen. „Feanna, du weißt ganz genau, dass wir nicht alles über unsere Welt wissen. Woher sie kommt, was außerhalb von ihr geschieht…ich meine damit, dass wir teleportiert werden.“ „Und von wem?“ hakte Feanna nach. Saria seufzte. „Ich kenne mich mit meiner eigenen Magie aus, aber nicht mit der dieser gesamten Welt“, antwortete sie. „Hast du dich nie gewundert, was mit dir passiert, wenn du schläfst? Du wanderst in einer andere Welt über. Du bist nicht diejenige, die im Bett liegt, sondern jemand, der vielleicht ganze Welten erkundet. Manchmal bist du nicht mal du selbst.“ Feanna sah sie fragend an. „Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst“, meinte sie. Saria dachte nach. „Es gibt Dinge, die man nicht erklären kann“, fuhr sie dann zögernd fort, „doch sie sind real. Du weißt, dass uns in dieser Welt viele Türen verschlossen blieben, die wir selbst mit unserer Magie nicht öffnen konnten. Und selbst dann nicht, wenn wir alle dafür erforderlichen Aufgaben erledigt haben.“ „Oh ja“, seufzte Feanna, „das weiß ich sehr gut. Wie oft mussten wir um Hilfe bitten…“ „Genau“, bestätigte Saria, „und diese Hilfe bekamen wir von wem?“ „Ich weiß es nicht, du schreibst doch immer die Briefe.“ „Und selbst ich weiß nicht, von wem sie gelesen werden.“ Saria blickte ihre Schwester vielsagend an. „Von irgendeinem mächtigen Magier, dachte ich“, meinte Feanna, schien jedoch selbst daran zu zweifeln. „Rede nicht so abfällig über sie“, mahnte Saria. „Auch wenn es keine Magier sind, die uns helfen. Ich glaube nicht einmal, dass sie auf unserer Welt sind. Oder zumindest nicht immer.“ Feanna starrte sie verblüfft an. „Du meinst, auf unserem Kontinent.“ „Nein, ich meine unsere Welt. Ganz Telon, ob mit Halgar oder ohne. Sogar Telara wird von ihnen beherrscht. Sie sind…außerhalb.“ „Aber wenn sie außerhalb sind, wie du sagst, wie können sie dann Kontakt zu uns aufnehmen?“ Feanna schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. „Du redest, als wären es Götter. Nein, das musst du falsch sehen.“ Saria hob ratlos die Schultern. „Vielleicht haben sie uns sogar erschaffen. Aber vielleicht auch nicht. Ich denke eher, es sind Zwischenwesen, die zwischen den Welten wandern können. Ich fühle mich jedenfalls manchmal beobachtet. Und selbst Shyari hatte schon Kontakt mit einem solchen Wesen. Sie haben Titel, aber ich weiß nicht, was sie bedeuten. Natürlich könnte die allgemeine Abkürzung des Titels auch ‚Großer Magier’ bedeuten. Aber ich stelle keine Fragen. Wenn sie da sind, stellen sie die Fragen und oft reden sie gar nicht. Aber wie ich bereits sagte, mehr weiß ich nicht darüber und ich bin mir nicht sicher, ob ich mehr darüber wissen will.“ Feanna starrte nachdenklich ins Leere. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll“, meinte sie schließlich. „Das Ganze erscheint mir ein wenig unheimlich.“ Es folgte ein Augenblick des Schweigens, dann fuhr sie fort: „Du sagtest, die Reise wäre gefährlich. Nach all dem, was du mir gerade erzählt hast, frage ich mich, warum.“ Saria schaute sie mit einem so ernsten Gesichtsausdruck an, dass Feanna beinahe zurückgewichen wäre. „Nun, es wird gesagt, dass selbst die Helfer – nennen wir sie vorerst so – nicht unfehlbar sind. Es ist eine schwierige Reise, bei der selbst sie uns kein gutes Ankommen garantieren können. Es…es heißt, dass einige Reisende kurzzeitig vergaßen, wer sie waren.“ Sie legte eine bedeutungsvolle Pause ein. Als Feanna sie nur anstarrte, ohne etwas zu sagen, fuhr sie fort: „Zumindest habe ich das gehört. Manche überstehen es gut, andere müssen sich an die Helfer wenden, um ihre…nun ja, ihre Identität wieder erkennen zu können. Ich hoffe natürlich, dass uns das nicht passiert.“ Nun schaute sie besorgt drein. Feanna brummte etwas vor sich hin. „Was hast du eben gesagt?“ wollte Saria wissen. „Ich sagte, dass wir es darauf ankommen lassen müssen“, antwortete Feanna. „Uns bleibt keine andere Wahl.“ Saria nickte bang und dachte an Kyron.
„Ich tue es“, sagte Shyari und baute sich vor den anderen auf. „Ich werde zuerst gehen. Ich schreibe einfach einen Brief und schon…“ „Nein“, unterbrach Saria sie, „das geht unter keinen Umständen.“ Alle sahen sie erstaunt an. „Aber warum nicht?“ wollte Shyari wissen. „Du könntest daran zerbrechen.“ Sie senkte den Kopf. „Verzeih mir, ich wollte das nicht sagen.“ Saria zwang sich, ihr in die Augen zu schauen. „Ich weiß, was du meinst“, sagte sie. „Ich habe etwas zu verlieren. Aber ich bin es leid. Ich bin es einfach leid.“ Und zum Erstaunen aller stand sie auf und teleportierte vor ihren Augen weg. „Was ist denn bloß los mit ihr?“ wollte Jovana wissen. „Sie denkt, dass sie vielleicht etwas gewinnen kann“, sagte Fennah nachdenklich. Feanna verdrehte die Augen. „Was sie nicht alles denkt.“ „Ich wusste nicht, dass du so pessimistisch bist“, meinte Shyari und warf einen losen Stein weit hinaus in das rauschende Meer. „Ich denke, Saria hat Recht.“ „Ich und pessimistisch?“ empörte sich Feanna, „ich war noch nie…“ „Feanna, tu doch nicht immer so, als wüsstest du nicht, was jemand meint“, unterbrach Shyari sie und sah sie an. „Warum sollte sie nicht kämpfen? Wenn sie zuletzt geht, steht ihr dasselbe bevor, wie jetzt auch. Warum sollte sie dann nicht wenigstens daran glauben, was sie tut?“ Feanna erwiderte nichts darauf. „Verdammt“, sagte sie schließlich und stand auf. „Ich denke, ich schaue noch nach, was ich mitnehmen kann. Bis später.“ Damit ging sie davon. Shyari sah in die Runde. „An eurer Stelle“, meinte sie, „würde ich das gleiche tun.“ Sie rannte in die Richtung, in die Feanna gelaufen war. „Die beiden“, meinte Quiona schmunzelnd. „Aber was ist denn los?“ wiederholte Jovana. Quiona schaute sie an; ihr Blick war unergründlich. „Mit Kindern rede ich nicht“, sagte sie dann. „Soll ich dir helfen?“ fragte Feanna, als sie ihre Halbschwester über dem Papier gebeugt sah. „Ich weiß, du traust es mir nicht zu, aber ich könnte…“ „Lass mich“, fuhr Saria sie gereizt an, „ich schreibe nicht zum ersten Mal einen Brief.“ „Schon gut.“ Feanna setzte sich auf den Boden; alle Möbel waren bereits für den Transport verpackt. Saria beobachtete sie eine Weile. „Es tut mir leid“, meinte sie schließlich, „ich wollte nicht grob zu dir sein.“ „Ja, das weiß ich.“ Feanna stand auf. „Ich weiß einiges, aber…ich hatte nie so eine schreckliche Angst.“ Sie rannte aus dem Haus und schlug die Tür hinter sich zu. Saria blickte ihr betroffen nach. Dann unterdrückte sie die Tränen und schrieb weiter.
Saria untersuchte den Briefkasten. Sie fühlte, dass etwas darin lag, wagte es jedoch nicht, es herauszunehmen. Na kommt schon, dachte sie, es ist doch nur ein Schritt. Sie trug den Brief in ihr leeres Haus, um ihn zu lesen. Als sie damit fertig war, waren ihre Augen vor Schreck geweitet. „Ich weiß es nun“, sagte sie leise zu sich selbst. „Ich auch.“ Saria erschrak so sehr, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. „Shyari, was machst du denn hier? Und wie bist du unbemerkt hineingekommen?“ Shyari schaute sie ernst an. „Du weißt doch, wie gut Feanna und ich befreundet sind. Natürlich habe ich mich ausgiebig nach dem Vorgang, oder wie du es nennen willst, erkundigt. Wir werden dieselben Pesonen sein…aber unsere Identität wird sich möglicherweise ändern. So viel weiß ich auch“, sagte sie, während Saria sie neugierig beobachtete. „Aber“, fuhr Shyari fort, „Diese Welt hat sorgsame Götter. Falls es welche sind. Es könnte sein, dass die Namen aller, die jemals auf Telon waren, für immer bestehen bleiben, selbst wenn sie schon längst nicht mehr unter uns weilen. Wir müssen möglicherweise um Erlaubnis fragen, um unsere eigenen Namen weiterhin tragen zu können. Wird es uns gewährt, so haben wir Glück. Doch es könnte sein, dass wir nie wieder zu uns finden. Das heißt…“ „Wir verlieren unser Bewusstsein“, schloss Saria, „unsere Identität. Ich weiß.“ Shyari legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Aber es wird gut für uns ausgehen. Glaub mir das.“ Saria schaute sie zweifelnd an. Shyari wusste nicht, was sonst noch in dem Brief stand. Sie wusste nicht, dass sie alle zur selben Zeit teleportiert würden und sich nicht gegenseitig helfen konnten.
„So“, verkündete Fennah munter, „ich wäre bereit für unsere Reise.“ Sie zwinkerte Quiona, die neben ihr stand, zu. „Du wirkst ziemlich zuversichtlich“, meinte Quiona. „Das bin ich auch. Uns erwarten aufregende Zeiten.“ „Vielleicht aufregender, als du denkst.“ Fennah sah sie verständnislos an. Dann geschah es.
„Quiona?“ schrie Fennah ängstlich. „Quiona!“ „Ich bin ja hier.“ Quiona legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Was war das?“ Fennah fing an zu weinen. „Einen Moment lang dachte ich, ich wäre tot.“ Vielleicht waren wir das auch einen Moment lang, dachte Quiona, sagte es aber nicht. Vielleicht sind wir nun etwas anderes. Doch trotz dieser Gedanken konnte sie keine Veränderung an sich feststellen. „Kleines“, sagte sie, „ich glaube, wir sind angekommen. Wir haben es geschafft.“ „Meinst du?“ Fennah blickte sich verunsichert um. Dann weiteten sich ihre Augen. „Sieh doch, all die fremden Menschen…“ „Ja“, sagte Quiona, „wir sind tatsächlich angekommen.“ Sie durchsuchte mit ihren Augen die Umgebung. Sie standen in Khal, so viel stand fest – doch sie konnte keinen ihrer Freunde entdecken. Es war wohl doch so, wie es in Sarias Brief gestanden hatte. Quiona hatte ihn heimlich in deren Haus gelesen. „Und wo sind die anderen?“ wollte Fennah ängstlich wissen. Ihre Unsicherheit, dachte Quiona, beginnt, meine Nerven zu strapazieren. Sie machte sich seufzend mit Fennah auf die Suche. Wo, fragte sie sich, waren sie zuletzt in Halgar gewesen? Sie beschloss, es zunächst in den Sümpfen von Thestra zu versuchen. „Komm“, sagte sie und zog Fennah unsanft mit sich.
„Ich wünschte, wir hätten mehr Platz“, sagte sie, als sie inmitten einer Menge auf den Shores of Darkness standen. „Man sieht ja überhaupt niemanden hier.“ „Ja“, stimmte Fennah zu, während ihr Herz voller Unruhe war. Sie hatte Quiona folgen wollen, doch fehlte ihr die Anwesenheit ihrer anderen Freunde. Sie beobachtete Quiona stumm und sorgenvoll. Deren eisblaue Augen schauten sich mit einer kühlen Gelassenheit um, ihr gesamtes Gesicht war ausdruckslos; es zeigte höchstens ein vages Interesse am Geschehen. Noch dazu war sie eine Dunkelelfe. Wie sollte sie ihr tatsächlich vertrauen? Wieso war sie nicht bei den anderen geblieben? „Wir werden es wohl länger miteinander aushalten müssen“, sagte Quiona, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. „Und vergiss nicht, ich bin ebenfalls eine Heilerin.“ Fennah verstand ihre Andeutung nicht, doch Quiona wusste genauestens über ihre eigenen Gefühle Bescheid. Zum einen war da ihre lästige Begleitung, die sie kaum noch auszuhalten vermochte und die zu allem Übel in einem Getümmel aus Elfen, Gnomen und Menschen neben ihr stand. Die andere Empfindung vermochte sie jedoch nicht recht einzuordnen, doch sie hatte oft davon gehört. Es schien so etwas wie Besorgnis zu sein. Nein, berichtigte sie sich in Gedanken. Es war Sehnsucht.
Shyari fühlte sich, als wäre sie soeben erst geboren worden. Was war mit ihr passiert? Sie saß auf dem Boden und rieb sich die Augen, als hätte sie geschlafen. Wo war sie? Sie blickte sich um. Nichts schien sich verändert zu haben. „Du bist einfach eingeschlafen.“ Sie schüttelte fassungslos den Kopf. „Du bist tatsächlich mitten in Khal – „ Das lautstarke Gemurmel ließ sie verstummen. Mit großen Augen beobachtete sie die Menschenmenge, die sich nahe des Bindsteins unterhielten. Dann begriff sie. „Du bist drüben“, murmelte sie. Und dann, lauter: „Du bist da!“ Ein Hochelf schaute sie befremdet an, doch sie bemerkte es gar nicht. Als nächstes prüfte Shyari ihr Inventar. Alles schien sicher angekommen zu sein. Langsam rappelte sie sich vom Boden auf. Ein fremder Qalithari lächelte sie an und sie lächelte zurück. Ihn schien es nicht zu verwundern, dass sie plötzlich scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war. Sie griff nach ihrem Gepäck und machte sich auf den Weg zu der hiesigen Bank. Es war erstaunlich; nichts schien sich verändert zu haben, obwohl sie doch an einem völlig anderem Ort war. Angesichts der vielen Fremden zweifelte sie keinen Moment daran. Sie war gerade dabei, ihr Gepäck zwischenzulagern, als sich ein Dunkelelf neben ihr anstellte. Shyari zögerte einen Moment. Dann sagte sie: „Entschuldigung. Ich bin neu hier. Könnt Ihr mir sagen, wie viele Einwohner Carroll Island hat? Ist es möglich, sich dort niederzulassen?“ Der Dunkelelf zog pikiert die Brauen hoch. „Tut mir leid, ich wohne dort nicht.“ Shyari seufzte. „Danke trotzdem.“ Sie dachte, dass sie sich wohl selbst dort umschauen müsste. Am besten gleich. Da tippte ihr jemand an die Schulter. „Hey, bist du´s wirklich?“ Sie drehte sich um und sah Feanna vor sich stehen. Die beiden fielen sich in die Arme. „Der Götter sei Dank“, meinte Feanna, „ich kam mir so verloren vor. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen und dass es dir scheinbar ebenfalls gut geht. Zum Glück war ich auf Halgar auch zuletzt in Khal.“ „Ja“, meinte Shyari, „scheinbar kommt man an dem selben Ort an, von dem man wegging.“ Sie fuhr sich durch die Locken. „Es ist schon verwirrend.“ „Aber wir haben es geschafft“, freute sich Feanna. „Ich kann es gar nicht glauben. Was wirst du jetzt tun?“ Um ein Haar hätte Shyari ihr die Wahrheit gesagt, doch sie beschloss, es vorerst nicht zu tun. „Ach, ich schaue mich ein wenig in der Gegend um“, sagte sie stattdessen. „Es gibt schließlich viel Neues zu entdecken.“ Feanna lachte. „Du warst nie besonders geistreich“, stichelte sie und zwickte Shyari in die Seite. Shyari schaffte es nicht, ihr auszuweichen. „Besten Dank. Und was hast du vor?“ Feanna blickte sich leicht besorgt um. „Ich werde nach Saria suchen“, antwortete sie. „Hier scheint sie jedenfalls nicht zu sein.“ „Nein“, stimmte Shyari zu. „Dann wünsche ich dir viel Glück dabei.“ Und nun geh endlich, fügte sie in Gedanken hinzu. Dies tat Feanna, nachdem sie ihr noch einmal zuwinkte. „Wir sehen uns dann später.“ Shyari nickte lächelnd.
In Celestine Ward borgte sie sich einen Greifen, um den weiten Weg nach Carroll Island anzutreten. Sie wusste, dass das Sechste Haus auf der Isle of Mann bereits ein neues Zuhause gefunden hatte. Die ehemals verbündete Gilde, der sie inzwischen längst angehörte, hatte ihr angeboten, sich ebenfalls dort niederzulassen. Shyari hatte sich die Insel bereits angeschaut, bevor sie sich auf den Weg nach Thestra gemacht hatte und musste sich eingestehen, dass er ihr sehr gefiel. Doch irgendetwas in ihrem Inneren zwang sie dazu, sich trotzdem auf ihrer alten, vertrauten Insel umzusehen. Vermutlich war ihr ehemaliges Grundstück schon längst besetzt, doch sie wollte sich selbst davon überzeugen. Die Stunden vergingen und bei Anbruch der Dunkelheit beschloss Shyari, eine Rast einzulegen. Sie würde ohnehin bei Tagesanbruch mit dem Schiff weiterreisen müssen. Die Sümpfe von Thestra erschienen ihr kein geeigneter Schlafplatz, doch ihr würde nichts anderes übrig bleiben. Das Dorf, welches in dieser Gegend lag, hatte sie schon längst hinter sich gelassen und es widerstrebte ihr ohnehin, an fremden Häusern anzuklopfen und um Einlass zu bitten. Sie fand einen trockenen Platz unter einem verdorrten Baum. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und sie konnte kaum die Hand vor ihren Augen sehen. Überall zirpte und quakte es geheimnisvoll. Shyari tastete den Boden vor sich ab und überlegte kurz. Dann zog sie die Decke, die sie für ihre Reise mitgenommen hat, aus einem Beutel und breitete sie darüber aus. Es würde nicht gemütlich werden, aber schließlich gehörte es zu ihrer Berufung, sich unangenehmen Situationen zu stellen. Wenigstens regnet es nicht, dachte sie in einem Anflug von Zynismus. Der riesige Greif neben ihr begann unruhig mit den Flügeln zu schlagen. „Ich weiß, du musst nun nach Hause fliegen“, sagte sie zu ihm und strich ihm über den Hals. „Danke, dass du mich soweit gebracht hast.“ Er schien zu nicken; dann breitete er seine gewaltigen Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Einen Moment später war er davongeflogen. Nun bin ich ganz allein, dachte Shyari. Sie versuchte, nicht an die bösartigen Kreaturen zu denken, die ihr womöglich auflauern könnten. Nun, dieser Ort hier schien ihr sicher genug zu sein. Und wenn nicht, überlegte sie weiter, habe ich immer noch meinen magischen Hund. Sie legte sich vorsichtig auf die Decke, rollte das obere Ende zu einem Kissen zusammen und schloß die Augen. Im Traum ging sie über die weite Graslandschaft von Carroll Island. Überall standen Häuser und deren Einwohner baten sie, ins Haus zu kommen. Doch Shyari wollte nicht. Sie blickte zum Hügel, auf dem Haldirs Haus gestanden hatte, die ehemalige Zuflucht für alle des Sechsten Hauses, die auf dieser Insel lebten. Ein riesiges, neues Haus prangte dort, das nicht seines sein konnte. In Shyaris Magen breitete sich ein seltsames Gefühl aus. Sie schloss die Augen. Sie musste es einfach tun, bevor sie sich umdrehen und zu ihrem eigenen Grundstück reiten würde. Sie schwang sich auf ihr Reittier – dem riesigen, magischen Hund – und ritt bang in diese Richtung. Es stand ein Haus dort. Sein Bewohner kam hinaus und winkte sich zu sich. Widerwillig ritt sie auf ihn zu. „Es ist also zu spät“, sagte sie, als sie vor ihm stand. „Meine Liebe“, sagte er – ein uralter Mann, der nicht in diese Gegend passen wollte und dessen Herkunft sie nicht bestimmen konnte -, „wie kommst du denn darauf? Ich heiße dich gern in meinem Haus willkommen.“ „Ja, aber es ist Euer Haus“, erwiderte Shyari missmutig. „Es ist nicht unseres.“ Sie senkte den Kopf. „Nun, komm am Morgen hierher. Du wirst schon sehen.“ Er nickte ihr zu und schlurfte langsam zur Eingangstür. Dort drehte er sich noch einmal um. „Vergiss nicht, an dein Herz zu denken.“ Als er hineinging, bemerkte Shyari, dass das Haus nicht möbliert war. Dann wurde die Tür hinter ihm geschlossen. Nun, alter Mann, dachte sie, ich habe bereits einen Ort, an den ich gehen kann. Die Isle of Mann. Vielleicht wirst du mich dort auch besuchen können. Sie wendete ihren Hund und ritt davon…
…geradewegs in die aufgehende Sonne, die sie blendete. Shyari schlug die Hände vor die Augen und rieb sie sich anschließend. Die Vögel zwitscherten um sie herum, während sie versuchte, sich an das Licht zu gewöhnen. Wie lang hatte sie geschlafen? Sie blickte an sich hinunter und stellte fest, dass sie die gesamte Decke zwischen ihre Knie gerollt hatte, als würde sie darauf reiten. „Oh Gott“, murmelte sie und rieb sich die Arme, die sich steif und erfroren anfühlten. Sie blickte misstrauisch hoch und erkannte den Baum, unter den sie sich gelegt hatte. Erleichterung erfasste sie. „Ich bin also nicht mondsüchtig. Aber was für ein Traum.“ Verschlafen verstaute sie die Decke wieder in ihren Beutel. Sie hatte noch ein gutes Stück zu reiten und danach ein Schiff zu steuern. Sie musste sich beeilen. Sie rief ihren Hund herbei und machte sich auf den Weg zum Meer. Dem weiten Meer, das ihr vorerst die Sicht auf ihr geliebtes Grundstück verwehren würde.
Feanna versuchte es zunächst in Tanvu. Vielleicht würde sie hier Saria finden; diese kam oft hierher, um ihrer Arbeit als Schneider nachzugehen. Doch sie konnte ihre Schwester nirgends entdecken. Verwirrt beschloss sie, in der hiesigen Bank nachzufragen. Womöglich hatte Saria hier ihre Sachen abgelegt. „Seid gegrüßt“, sagte sie. „Ihr wisst nicht zufällig, ob eine gewisse Saria Arvyn hier vorbeigekommen ist?“ Der Schatzhüter legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Saria…Saria. Nein, das sagt mir nichts…aber Halt! Heute früh ist eine Siara bei uns eingezogen. Ihr meint nicht zufällig diese?“ „Nein, ich suche eine Saria…aber was meint Ihr mit `eingezogen`?“ „Nun, sie wirkte seltsam verloren. Sie betrat die Bank und fragte, ob ich sie erkennen würde. Als ich verneinte und wissen wollte, wer sie denn sei, antwortete sie, sie wüsste es nicht genau, aber möglicherweise würde ihr Name Siara sein. Es war sehr merkwürdig.“ Feanna stockte der Atem. Litt ihre Schwester unter dem Fluch der Reise? Wie lange würde er dauern? Würde sie jemals davon befreit werden? Und war sie es überhaupt? „Wo ist sie?“ fragte sie bang. „Gleich hinter dieser Tür hier“, antwortete der Schatzhüter misstrauisch. „Aber Ihr könnt nicht…he!“ Feanna war bereits in den Raum gestürmt. Saria saß in einer Ecke und starrte ins Leere. Feanna trat zu ihr und legte eine Hand unter ihr Kinn. „Saria“, stammelte sie. Saria blickte auf. Ihr Blick war umwölkt und schien sie nicht wahrzunehmen. „Wer…wer bist du?“ fragte sie so leise, dass Feanna sie kaum verstehen konnte. „Und…wieso nennst du mich Saria?“ „Du erkennst mich nicht?“ Feanna war bestürzt. „Erkennst du mich wirklich nicht? Ich bin deine Schwester, Saria. Feanna. Und es ist wahr, du heißt Saria.“ „Aber ich fühle mich nicht so“, entgegnete Saria gequält. „Ich weiß überhaupt nichts über mich. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Sie barg das Gesicht in ihren Händen. Ich auch nicht, dachte Feanna. Ja – was sollte sie nun nun? Sie war verzweifelt. „Ist sie es?“ fragte der Schatzhüter hinter ihr. Feanna seufzte. „Ja, sie ist es.“ „Oh.“ „Ich weiß nicht, wer ich bin!“ rief Saria aus. „Das wissen wir bereits“, murrte Feanna. „Wir müssen das schnellstens ändern.“ „Ist sie…gereist?“ erkundigte sich der Schatzhüter vorsichtig. „Ja. Sie ist heute erst angekommen.“ Er schaute sie mitleidig an. „Nun, dann wird es schwierig. Sie wird einen Helfer zu Rate ziehen müssen. Aber es wird lange dauern, bis sie ihre Freunde wieder vollständig akzeptieren kann. Ich kenne solche Fälle“, erklärte er. Feanna, verärgert darüber, dass er Saria einen Fall nannte, nahm ihre Schwester an die Hand. „Sie wird nun mit mir kommen“, sagte sie entschlossen. „Ich werde ihre Erinnerung ganz sicher wieder auffrischen.“ Der Schatzhüter zuckte mit den Schultern „Wie Ihr meint.“ Insgeheim war er froh, diese seltsame Halbelfe und ihre wild blickende Begleitung loszuwerden. Feanna musste nun schnellstens eine Unterkunft für sie beide finden. Und sie musste dringend einen Brief schreiben.
„Was tun wir denn nun? Hier sind sie auch nicht“, rief Fennah nervös. Sie standen in Celestine Ward; an derselben Stelle, an der Shyari am Tag zuvor gestanden hatte. Quiona atmete ein paar Mal tief durch und schloss dabei die Augen. Fennah musterte sie besorgt; obwohl Quiona die Augen geschlossen hatte, verlor sie dadurch nichts von ihrer bedrohlichen Erscheinung. Ihr Gesicht schien wie gemeißelt und poliert; die feinen Nasenflügel bebten. Dann öffnete sie ihr Augen wieder und Fennah wich vor dem Ausdruck in ihnen zurück. „Jetzt hör mir mal gut zu“, brachte Quiona zähneknirschend hervor, „bitte…“ Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. „Du wirst jetzt für ein paar Stunden – oder nein, bis wir die anderen gefunden haben – den Mund halten. Im Moment wünschte ich, du würdest es für den Rest deines Lebens tun. Den ganzen Tag jammerst du. Ich kann es nicht mehr hören. Ich ertrage dich nicht mehr.“ Sie stieß langsam die Luft aus und sah plötzlich ganz verändert aus. Ihre Augen blickten so ruhig und ausdruckslos wie immer. „Hast du mich verstanden?“ Fennah starrte sie entsetzt an und nickte zaghaft. Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder. Ein Gefühl sagte ihr, dass vielleicht ihr eigenes Herz in Quionas Beutel landen würde, wenn sie sich anders entschied. Quiona schien jedoch die Beherrschung wieder erlangt zu haben. „Wenn ich dich etwas frage“, sagte sie, „Darfst du ruhig reden. Wir machen uns jetzt auf den Weg nach Carroll Island.“ Somit machte sie sich auf den Weg zum Greifenhändler. Fennah war wütend ob dieser Behandlung, hielt aber wohlweislich den Mund, während sie ihr folgte. „Aber sieh mal“, sagte Quiona, während sie sich auf einen Greifen schwang, „nimm es nicht tragisch. Du wirst auf meiner Galleone mitfahren dürfen.“ Sie verzog das Gesicht zu etwas, was ein versöhnliches Lächeln darstellen sollte. Es war hübsch, doch für Fennah sah es Furcht erregend aus. Dennoch lächelte sie zurück.
Als Feanna gerade ihren Brief verfasste und Saria währenddessen mit stumpfem Gesichtsausdruck neben ihr saß, war Shyari am Strand von Thestra angekommen. Sie entließ ihren Hund und setzte sich einen Moment hin. Hunger plagte sie und sie durchwühlte ihren Beutel nach etwas Essbaren. Sie fand gekochte Eier und etwas Brot. Schweigend verzehrte sie einen Teil davon, während ihre grünen Augen über das Meer schauten und dessen Licht reflektierten. In diesem Licht wirkte sie merkwürdig anrührend, während es in ihrem Inneren rumorte. Sie bemühte sich, nicht an ihre Freunde zu denken, deren Beistand sie in diesem Moment gut hätte gebrauchen können. Während die Sonne hoch an den Himmel stieg, schien ihr Herz ebenfalls zu steigen und sie mit einem Gefühl zu überwältigen, das gleichzeitig die Seele senkte. Es war Sehnsucht. Sie wischte sich mit einer Hand über die Augen, obwohl niemand sie sehen konnte und stellte fest, dass sie trocken waren. Sie beendete ihre Mahlzeit und begann, ihr Schiff aufzubauen. Sarias Mutter hatte es eines Tages vom Sechsten Haus zu ihrem Geburtstag bekommen und es Shyari überlassen. Als das Schiff langsam auf dem Meer wiegte, erfasste sie eine Mischung aus Vorfreude und Furcht. Sie war lange nicht damit gefahren; sie hoffte, dass alles gut gehen würde. Vor allem jedoch dachte sie darüber nach, was sie am Ende dieser zweiten Reise erwarten könnte. Vorsichtig lenkte sie das Schiff in Richtung Süden. Sie musste an den alten Mann aus ihrem Traum denken. Er war so real gewesen…ob sie ihn tatsächlich auf Carroll Island antreffen würde? Am meisten dachte sie jedoch an sein Haus. Sein leeres Haus. Seltsam, so zu leben. Aber wahrscheinlich gab es ihn gar nicht. Schließlich war es nur ein Traum, ermahnte sie sich in Gedanken. Dennoch konnte sie ihn nicht verdrängen. Sie trieb stundenlang auf der See und unterdrückte die aufkommende Müdigkeit. Allein der schemenhafte Umriss, den sie, als die Sonne schon bedeutend tiefer stand, von Carroll Island sah, verlieh ihr neue Kraft. In der Dämmerung erreichte sie die Insel und eine eiskalte Hand umklammerte ihr Herz. Sie versuchte, ihr Schiff an den Strand zu lenken, doch es prallte gegen einen Felsen und stieß sie fast von Bord. „Verdammt“, murmelte sie – es war das erste Wort, das sie seit dem Aufwachen gesprochen hatte und es tat ihr weh, dieses bei der Ankunft auf ihrer Insel zu sagen. Doch vielleicht war es gar nicht mehr ihre Insel. Sie schaffte es irgendwie, den Anker auszuwerfen und sprang von Bord. Wo sie eine Sandbank vermutet hatte, tauchte sie bis zur Nase unter und prustete und schnaubte entrüstet. Dann schleppte sie sich an Land und versuchte, ihren Gleichgewichtssinn zu kontrollieren. Es erschien ihr, als würde der Boden unter ihr immer noch schwanken. Sie schaute sich um. Die Insel war in ein beinahe überirdisches, goldenes Licht getaucht, das bald tiefrosa werden würde. Die Bäume wogten sachten im Wind und gaben das Licht wieder. Wehmütig blickte sie zu der alten Mühle, wo Saria oft gearbeitet hatte, und zu der kleinen Siedlung, an dessen Hügel Quiona oft gesessen hatte, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Dann fasste sie sich ein Herz und ging zu Haldirs ehemaligem Grundstück hinauf. Wie in ihrem Traum. Es stand kein Haus dort. Sie starrte atemlos auf die leere Fläche. Vielleicht…nein, sie wollte sich keine Hoffnungen machen. Wie in ihrem Traum drehte sie sich langsam um und ging der sinkenden Sonne, ihrem geliebten Platz entgegen. Bestimmt würde ihr bald ein uralter Mann die Tür öffnen und sie zu sich in ein leeres Haus hineinwinken. Doch sie sah kein Haus. Sie runzelte die Stirn. Dort standen überhaupt keine Häuser; hatte sie sich in der Richtung geirrt? Sie ging weiter und wusste, dass kein Zweifel bestehen konnte. Es war ihr Platz. Die Stunden ungeweinter Tränen, all die Starre, die sie umklammert hatte, ballten sich in ihrem Herzen und ließen ihrer Seele endlich freien lauf. Sie begann zu weinen. Sie setzte sich auf das leere Grundstück, schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte hemmungslos. Nie hätte sie sich vorstellen können, wie gut es ihr tun würde. Doch nun wusste sie es. Und sie wusste noch etwas: Sie hatte eine Entscheidung getroffen.
Kummervoll blickte Feanna ihre Schwester an. Ihr Zustand hielt immer noch an und sie hatte bisher keine Hilfe bekommen. Auch Kyron hatte sich bisher nicht gemeldet; wo blieb er eigentlich? Sie erzählte Saria ununterbrochen von ihren vielen Erlebnissen, den Abenteuern, ihrer Arbeit. Doch nach wie vor war selbst ihr eigener Name Saria fremd. Feanna legte sich erschöpft auf ihr neues Bett. Sie hatte eine Unterkunft in Tanvu gefunden, für die sie nicht viel bezahlen mussten. Es musste ein Wunder passieren. Sie würde es nicht ertragen können, wenn Saria für den Rest ihres Lebens so blieb. Wie sollte sie sich mit ihrer Schwester neu anfreunden? Sie hatten sich ohnehin nur gut verstanden, weil sie Schwestern waren. Feanna war sich nicht sicher, ob sich das in Zukunft ändern würde. Sie vermisste Saria, obwohl diese neben ihr saß. Ach, wenn doch endlich…es klopfte an der Tür. Feanna sprang auf wie vom Blitz getroffen und wäre beinahe in den Mann gerannt, der vor ihr stand. „Habt Ihr einen Moment Zeit für mich?“ fragte er. „Äh…ja“, stammelte Feanna, immer noch im Türrahmen stehend. „Warum…“ „Ihr habt um Hilfe gebeten“, unterbrach er sie. „Eine gewisse Saria hat ihr Gedächtnis verloren. Stimmt das?“ „Ja, das stimmt“, sagte Feanna erleichtert und ließ ihn endlich hinein. „Ihre gesamte Identität.“ Er lächelte. „Das werden wir gleich haben. Ich muss Euch jedoch bitten, für eine Weile das Haus zu verlassen. Die Nähe von Vertrauten – selbst denen, die man vergessen hat – können den äußert schwierigen Prozess stören, den ich an ihr vornehmen werde.“ „Natürlich“, beeilte sich Feanna zu sagen, „aber wird ihr auch nichts passieren?“ „Nein“, beruhigte er sie, „eines solltet Ihr jedoch wissen: Sie wird noch eine Weile unter einem befremdlichen Gefühl der Isolation leiden. Doch wenn die Monde günstig stehen, wird sie auch davon geheilt werden. Dies wird in ein paar Tagen geschehen.“ „Nun gut…“ Feanna wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war ein Helfer, der vor ihr stand. Ein Zwischenwesen, wie Saria es genannt hatte. Eigentlich sah er ganz normal aus. Dennoch war sie zutiefst beeindruckt. „Dann gehe ich mal“, schloss sie und verließ, nachdem sie ihm einen letzten, misstrauischen Blick zugeworfen hatte, das Haus. Dann fiel ihr etwas ein. „Wie lange?“ rief sie durch das Fenster. „Ich sage Euch Bescheid“, rief er zurück. „Oder besser gesagt, sie wird es selbst tun.“ Hoffentlich, dachte Feanna besorgt. Sie vertrieb sich die Zeit bei Händlern, denen sie die restlichen unnötigen Dinge, die sie aus einem ihr unerfindlichen Grund mitgenommen hatte, verkaufte. Außerdem plauderte sie mit ihnen. Sie musste einfach mit jemandem reden; sie hoffte zutiefst, schon bald auch wieder mit Saria so reden zu können. Es schien eine Ewigkeit zu sein, in der der Helfer mit Saria beschäftigt war. Feanna versuchte, nicht daran zu denken und schaute statt dessen nach einem neuen Gürtel für Shyari. Sie fand ihn nicht. Warum, dachte sie, warum muss denn alles schief gehen? Warum kann ich diesen verdammten Gürtel… „Hallo?“ ertönte eine Stimme hinter ihr. Sie drehte sich ruckartig um und war nahe daran, in Tränen auszubrechen. Wer störte sie gerade? „Ich bin es“, sagte der Helfer, der ihre Aufgewühltheit zu bemerken schien. „Ich habe Eurer Schwester geholfen. Ich hoffe, dass nun alles zu Eurer Zufriedenheit ist.“ Feanna hatte Mühe, ihre Emotionen niederzukämpfen, obwohl sie wusste, dass dies eine gute Nachricht war. Sie schluckte einmal hart, dann noch einmal. „Danke“, sagte sie, „ich werde sogleich nach ihr sehen.“ Sie rannte zu ihrer Unterkunft und verlief sich zweimal. Dann wurde unmittelbar vor ihrer Nase eine Tür aufgerissen. „Feanna!“ rief Saria freudestrahlend. „Nun weiß ich, wer du bist. Du meine Güte, ich hätte nicht gedacht…“ Die stürmische Umarmung Feannas riss ihr das Wort ab. „War es so schlimm?“ fragte Saria erstaunt. „Ich kann mich an nichts erinnern.“ „Ja es war schlimm; du glaubst gar nicht, wie“, antwortete Feanna. Sie fing an zu weinen. Saria nahm sie erstaunt und zutiefst gerührt in ihre Arme. Dies war das erste Mal, dass ihre Schwester in ihrer Anwesenheit hemmungslos weinte. „Nun“, sagte sie, „da ich wieder bei mit bin, sollten wir die anderen suchen gehen. „Ich dachte, ich hätte dich verloren“, sagte Feanna. „Das wirst du nie“, entgegnete Saria. „Schließlich bin ich dir doch gefolgt, oder nicht?“ Und zum ersten Mal erstrahlte Feannas Gesicht in einem einnehmenden Lächeln, das Saria noch nie gesehen hatte. „Ja, das bist du“, bestätigte sie, „und nun lass uns die anderen suchen. Am besten auf Carroll Island.“ Sie ergriff Sarias Hand und wollte ihre Schwester mit sich ziehen, doch Saria blieb starr stehen. Feanna schaute sie fragend an. „Ich kann mich aber noch nicht so recht an das Sechste Haus erinnern“, erklärte Saria zögernd. „Aber der Helfer – es war doch einer? – sagte mir, dass ich das bald könnte. Ist es schlimm?“ „Nein“, sagte Feanna, „es ist überhaupt nicht schlimm. Und nun lass uns gehen.“ Das Lächeln blieb, als sie ihre Schwester weiter voran zog.
Sie hatten beinahe den ganzen Weg zurückgelegt, als Saria plötzlich fragte: „Wo ist Kyron? Was ist mit ihm?“ Feanna tat so, als wäre sie vollkommen in die Steuerung des Schiffes versunken. Was sollte sie Saria antworten? „Ich weiß nicht, wo Kyron ist“, sagte sie schließlich. „Aber sicher werden es die anderen wissen.“ Sie versuchte, den darauf folgenden Blick von Saria zu ignorieren. Es war wichtiger, dass ihre Schwester wieder bei ihr war.
Das Meer rauschte, als sie sich langsam der Küste näherten. „Sieh mal“, meinte Feanna, „vor uns liegt Carroll Island.“ Saria schaute beinahe ehrfürchtig auf den schwachen Umriss der Insel. „Ja…“ „Du hast Angst, nicht wahr?“ wandte Feanna sich ihr zu. Saria ließ die Schultern hängen. „Ja, ich habe Angst. Aber ich habe mehr Angst davor, dass wir Shyari dort nicht antreffen, als dass wir unsere Insel verlieren.“ „Red nicht so einen Unsinn“, winkte Feanna unwirsch ab. „Es wird alles gut werden.“ Saria schaute sie zweifelnd an.
„Nun, dann werden wir uns auf die Suche nach unserem Grundstück machen“, sagte Feanna. Saria folgte ihr, als sie nach Süden stürmte. Sie hatte seit ihrer Unterhaltung auf dem Schiff kein Wort herausbringen können. Plötzlich blieb sie stehen. „Aber…da sind ja überhaupt keine Häuser“, stammelte sie. „Tatsächlich.“ Feanna blickte ebenso erstaunt drein. „Aber es ist jemand dort. Vielleicht kommen wir doch zu spät?“ „Du vergisst, dass wir ursprünglich zu unserer Gilde ziehen wollten“, erinnerte Feanna sie, doch irgendetwas zwang sie dazu, Saria zu verstehen. Es ist Heimweh, stellte sie erstaunt fest. So fühlt sich das also an. „Nun ja“, meinte sie zögernd, „lass uns die Fremden doch begrüßen. Vielleicht können wir mit ihnen verhandeln“ Sie traten zögernd auf die Gestalten zu, die auf ihrem ursprünglichen Grundstück standen. Sarias Herz sank immer tiefer, je näher sie ihrem geliebten Ort kam. Dann erkannte sie Shyaris Locken. Shyari drehte sich um. „Was tust du hier?“ fragte Saria atemlos. „Und wo ist Kyron?“ „Kyron wird bald nachkommen“, erklärte Quiona ruhig. Sie hatte sich unbemerkt mit Fennah zu ihnen gesellt. „Ihm wurde bereits gesagt, dass er uns bald folgen kann.“ Wenn die Monde günstig stehen, vollendete Feanna in Gedanken. Sie musste lächeln und legte Saria einen Arm um den Hals. „Nun, es ist noch nicht ganz ausgebaut“, stammelte Shyari, „aber ich habe ein Grundstück gekauft. Es ist beinahe dasselbe wie früher, aber ich wusste immer, dass Saria sich eines gewünscht hat, das näher am Meer stand. Und ich habe dafür gesorgt, dass es nicht verfällt“, fügte sie angstvoll hinzu. „Wirklich?“ Fennah fiel ihr um den Hals, ehe sie es abwehren konnte. Quiona schaute sie verächtlich an. Wie konnte man nur so unwissend sein? Sie war froh, dass sie Fennah nicht mehr allein ertragen musste. Dennoch verspürte sie den Impuls, die sensible Hochelfin ebenfalls zu umarmen. „Wieso hast du das getan?“ wollte Feanna wissen. Saria betrachtete das Grundstück und sagte nichts. Shyari tat es ihr gleich. Dann drehte sie sich um und schaute zum Strand hinaus. „Wir können es auch rückgängig machen“, brachte sie schließlich hervor. „Ich habe nur gehandelt; vollendet ist es nicht.“ Sie schaute zweifelnd auf das leere Grundstück. „Oh doch, das ist es“, sagte Quiona und trat neben sie. „Selbst wenn hier noch kein Haus steht, so ist es doch unsere Heimat. Ihr alle wisst, dass uns unsere Freunde des Sechsten Hauses dabei helfen werden. Und nun, da alles getan ist, sollten wir keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Uns stehen noch viele Abenteuer bevor, zumal unsere Gefährtin auf unserem Kontinent bleiben wird.“ Sie legte einen Arm um Shyari und hoffte, dass diese das leise Zwinkern in ihren kalten Augen bemerken würde.
_________________ Ein Freund ist jemand, der dich mag, obwohl er dich kennt.
|